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Der böse "gute Onkel"

Die meisten denken, der Täter sei ein unbekannter "Fremder". Er lauert - so die gängige Meinung - auf Spielplätzen und an Schulen seinem Opfer auf und bringt es mit falschen Versprechungen in seine Gewalt. Solche Fälle gibt es. Es sind genau die Fälle, die immer wieder Schlagzeilen machen. Doch gerade sie sind eher selten.

Der "alltägliche" Kindesmissbrauch findet nicht im Licht der Öffentlichkeit statt, sondern im eigentlich geschützten Raum, zu Hause in den eigenen vier Wänden.

Denn in Wahrheit passiert es meist "im Schoß der Familie", im engeren Verwandtschafts- oder Bekanntenkreis. Wird ein Kind hier missbraucht, wird das meistens verschwiegen, vertuscht. Je enger das Verhältnis zum Täter, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Missbrauch intensiver und oft über Jahre hinweg betrieben wird

Das lange Schweigen - Beispielhafte Fälle

Für ein Stück Schokolade
Die kleine Marie ist ein fröhliches und offenes Kind. Oft klappert sie am Nachmittag die Nachbarschaft ab. Besonders gern geht sie zu Onkel Peter in das Eckhaus. Der hat nämlich immer besonders leckere Schokolade für sie. Doch seine Freundlichkeit lässt sich Onkel Peter teuer bezahlen... Erst als Marie mit ihrer Familie nach zwei Jahren in eine andere Stadt zieht, lässt die Angst nach und sie beginnt, sich ihrer Mutter anzuvertrauen: Immer wieder ist sie vom Onkel nebenan missbraucht worden.

Der Bettnässer
Miriam S. ist völlig ratlos. Ihr Max war doch schon seit Jahren sauber und jetzt fängt er plötzlich wieder mit dem Einnässen an. Auch Alpträume scheinen den Siebenjährigen zu plagen. Neuerdings erwischt sie ihn auch mit den Schnullern seiner kleinen Schwester. Was ist denn nur los? Der Kleine wird gründlich untersucht - nichts. Wegen der Sorge um Max überwirft sie sich mit ihrem neuen Lebensgefährten und trennt sich schließlich von ihm. Nach einer Weile geht es auch Max wieder besser. Erst Jahre später begreift sie den schrecklichen Zusammenhang zwischen der Trennung von ihrem Partner und der "Genesung" ihres Sohnes.


Verborgene Erinnerungen
Uta L. ist 40 Jahre. Sie lebt allein, alle ihre Beziehungen scheitern. Körperlicher Kontakt ist Ihr eine Qual. Sie beginnt eine Therapie. Bei etlichen Sitzungen dringt sie zu den tief verschütteten Erinnerungen vor: Da ist ihr Vater, der sie fast ihre ganze Kindheit über missbraucht hat. Und da ist auch ihre Mutter, die alles gewusst hat. Sie hat damals nicht ihre Tochter geschützt, sondern ihren Ehemann - aus Angst.

Keiner wird dir glauben!" - Die Drohungen des Täters

Oft sind sich Täter und Opfer - also das missbrauchte Kind - sehr nahe. Das Kind liebt den Erwachsenen und vertraut ihm. Oder es ist einfach gewohnt zu gehorchen. Desto verwirrter ist es über das Verhalten des Erwachsenen, glaubt sich zu täuschen und hofft, dass das alles bald aufhört. Jedes Kind wird früher oder später aber seinen Widerwillen zeigen. Dann arbeiten die Täter mit Drohungen. Sie säen Schuldgefühle, um das Kind zum Schweigen zu bringen


Drohungen, mit denen missbrauchte Kinder eingeschüchtert werden:

„Du hast dich nicht gewehrt, du wolltest das auch!"
„Was wir miteinander machen, ist etwas sehr Schönes!"
„Es ist normal, was wir tun."
„Hast du mich denn nicht mehr lieb?"
„Wenn du was sagst, dann werde ich ganz krank."
„Du machst mich sehr traurig."
„Du willst doch nicht, dass ich ins Gefängnis muss, oder?"
„Wenn du unser Geheimnis verrätst, habe ich dich nicht mehr lieb. Deine Mutter wird vor Kummer sterben. Dann wirst du ins Heim gebracht."
„Niemand wird dir glauben. Und dann hat dich keiner mehr lieb. Alle werden ganz schlecht über dich denken!"
„Du bist dann ganz alleine und ein Lügner!"
„Wenn du was sagst, schlag´ ich dich tot."
„Wenn du was sagst, bringe ich dein Kaninchen/Hamster etc. um."
"Deine Mama hat dich überhaupt nicht lieb. Du bist ganz alleine ohne mich."

Verdächtige Signale und Symptome

Auch wenn es missbrauchten Kindern sehr schwer fällt, darüber zu reden, was ihnen angetan wird: jedes Kind sendet in einer solchen Situation gewisse Signale aus und reagiert mit Verhaltensauffälligkeiten.

Nicht jedes einzelne Symptom ist gleich ein Indiz für Missbrauch. Je mehr Symptome jedoch zutreffen, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass hier etwas im Argen liegt.

Auf diese Signale sollten Eltern reagieren:

  • · Sexualisiertes Verhalten (Nachahmung der Taten, Zuneigung über Sexualität)
  • · Angstzustände, Schlafstörungen, Alpträume
  • · Überforderte Rollenzuweisung in der Familie (das Kind wird in eine Erwachsenenrolle gesteckt)
  • · Minderwertigkeitsgefühle, Beziehungsstörungen, sozialer Rückzug, Weglaufen
  • · Einnässen, Einkoten, Daumenlutschen, Stottern, Nägelkauen
  • · Selbstbestrafung, Selbstmordversuche, depressives Verhalten, Rückzug in eine Phantasiewelt bis hin zu Lügen
  • · Schulschwierigkeiten, keine Freundschaften
  • · Mager- und Fettsucht, Hautkrankheiten, Kopf- und Bauchschmerzen
  • · Bei älteren Kindern: Alkohol- und Drogenmissbrauch

  • Relativ sichere körperliche Symptome:
    • · Unterleibsverletzungen
    • · Blutergüsse und Bisswunden im Genitalbereich
    • · Geschlechtskrankheiten
    • · Schwangerschaft
    • · unerklärliche Harnwegentzündungen
  • Allerdings: Ein völlig normaler körperlicher Untersuchungsbefund schließt sexuellen Missbrauch nicht aus!
  • Verdachtsmomente - was nun?
  • Der Schutz innerhalb der Familie sollte der stärkste Rückhalt für ein Kind sein. Hier sollte es Liebe, Sicherheit und Geborgenheit erfahren. In dieser Abhängigkeit und in diesem Vertrauen kommt es jedoch auch zum Missbrauch - häufiger als man denkt. Vater, Stiefvater, Lebenspartner, Opa, Bruder, Onkel, der gute Freund der Familie, manchmal sogar Mutter oder Tante: Sexueller Missbrauch innerhalb der Familie findet täglich irgendwo statt.

    Selten handelt es sich um "einmalige Ausrutscher". Meist werden Kinder über Jahre hinweg missbraucht. Mit solchen Handlungen stillt der Täter nicht nur seine sexuelle Bedürfnisse, sondern auch das Verlangen nach Unterwerfung und Macht.

    Der Gedanke, dass das eigene Kind Opfer von sexuellem Missbrauch wurde, ist unerträglich. Verschließen Sie dennoch nicht die Augen, wenn Sie einen Verdacht haben! Aber gehen Sie behutsam vor!

    Keine Angst vor einer Anzeige!
    Wenn Sie den Verdacht haben, dass ein Kind in Ihrem Bekanntenkreis missbraucht wurde, holen Sie Informationen ein! Beobachten Sie, fragen Sie nach! Eventuell auch bei einer Beratungsstelle. Bei begründetem Verdacht: Scheuen Sie sich nicht, Anzeige zu erstatten!

    Wenn das Kind sich jemandem anvertraut oder durch Beobachtungen Dritter der Verdacht zur Gewissheit wird, beginnt für das Opfer ein neuer Abschnitt seines Leidenswegs. Das betroffene Kind sollte gerade jetzt nicht durch falsches Verhalten der Helfer Schaden erleiden.

    Deshalb hier die wichtigsten Verhaltenstipps:

    • · Hinsehen und einschreiten! Treten Sie der Gewalt und der sexuellen Ausbeutung von Kindern entgegen! Seien Sie auch innerhalb der Familie und im Freundeskreis sensibel dafür!
    • · Glauben Sie dem Kind! Das ist die wichtigste Unterstützung, die Sie ihm zunächst geben können.
    • · Stellen Sie sich unmissverständlich hinter das Kind! Versuchen Sie nichts zu relativieren! Gehen Sie nicht auf Rechtfertigungen und Behauptungen des Täters ein: „Die hat das nur im Fernsehen gesehen..." oder „Du kennst mich doch, das würde ich nie tun" oder „Das Kind will uns nur auseinanderbringen..."
    • · Nehmen Sie auch Andeutungen ernst!
    • · Nehmen Sie sich viel Zeit für Ihr Kind und hören Sie genau zu! Ermutigen Sie es, über die Geschehnisse zu reden, aber drängen Sie es nicht! Ihr Kind sollte immer freiwillig erzählen.
    • · Die meisten Opfer fühlen sich selbst für den Missbrauch verantwortlich. Nehmen Sie diese Gefühle ernst! Machen Sie dem Kind klar, dass es keine Schuld trifft! Allein der Täter ist für seine Handlungen verantwortlich.
    • · Beziehen Sie klar Stellung! Verurteilen Sie die Tat, aber belasten Sie Ihr Kind nicht mit Ihren eigenen negativen Gefühlen, etwa Rachegefühlen!
    • · Zeigen Sie Ihrem Kind Ihre Zuneigung! Es darf nicht glauben, dass sie es jetzt weniger lieb haben als vorher.
    • · Drängen Sie Ihrem Kind die Zuneigung aber nicht auf! Wenn es sich gerade bei körperlichen Berührungen zurückzieht, respektieren Sie das!
  • Nicht verharmlosen, aber auch nicht unnötig dramatisieren!
    • · Versuchen Sie, Ihrem Kind gegenüber ruhig zu bleiben! Wenn Sie Angst, Panik oder Bestürzung und Verzweiflung zeigen, wird sich Ihr Kind schuldig fühlen, Ihnen Kummer bereitet zu haben. Wenden Sie sich an geeignete Stellen und Personen, um Ihren Schmerz zu verarbeiten.
    • · Machen Sie Ihrem Kind keine Vorwürfe, warum es bis jetzt geschwiegen hat! Zeigen Sie ihm, dass Sie froh sind, dass es zu Ihnen gekommen ist.
    • · Spielen Sie das Geschehene nicht herunter, um Ihr Kind zu trösten! Damit helfen sie dem Kind nicht: Es wird sich von Ihnen unter Umständen zurückziehen und sich nicht mehr anvertrauen.
  • Reagieren und aktiv werden!
    • · Stoppen Sie den Missbrauch! Sorgen Sie dafür, dass das Kind nicht mehr mit dem Täter zusammentrifft - auch wenn das den Auszug aus der Wohnung, die Strafanzeige, die Trennung vom Partner usw. bedeutet.
    • · Fragen Sie gezielt, womit der Täter gedroht hat! Entkräften Sie die Drohungen und nehmen Sie dem Kind die Angst.
    • · Suchen Sie eine Beratungsstelle auf, um sich über die weiteren Möglichkeiten zu informieren!
    • · Sprechen Sie mit der Beratungsstelle über eine Strafanzeige! Wägen Sie die Entscheidung sorgfältig ab. Wird ein Kind sexuell missbraucht, beginnt die Verjährung erst mit der Volljährigkeit des Opfers. Das bedeutet, dass das Opfer bis zum 18. Lebensjahr gegen den Täter strafrechtlich vorgehen kann.
    • · Medizinische Untersuchungen, Gerichtsverhandlungen, polizeiliche Vernehmungen, etc. können einerseits sehr belastend sein für ein Kind, andererseits sind sie aber auch hilfreich. Nicht nur für die Beweissicherung. Die Aufarbeitung des Unrechts kann durch diese Maßnahmen begleitet werden.
    • · Nehmen Sie selbst und für Ihr Kind auch die Hilfe eines Psychologen in Anspruch.
    • Bei der Erziehung vorbeugen

    Allein der Gedanke, das eigene Kind könnte missbraucht werden, ist schrecklich. Und natürlich sollte man ein Kind nicht ständig mit dieser Angst konfrontieren. Vorbeugen heißt vielmehr: dem Kind Selbstbewusstsein geben, es stark machen, auch „nein" sagen zu können.

    Dass die meisten Täter aus dem unmittelbaren Umfeld des Kindes stammen, macht das Ganze nur noch schwieriger. Schließlich möchten Sie Ihr Kind ja nicht zu einem scheuen und allzu misstrauischen Menschen erziehen...

    Kindern ist das „Nein" angeboren
    Kinder sind abhängig von uns, den Erwachsenen. Aber wir sollten sie nicht unserem Willen und unseren Bedürfnissen unterordnen. Stärken Sie ihr Kind in seiner Eigenheit und in seinem eigenen Willen! Respektieren Sie die Persönlichkeit und die Selbstbestimmung des Kindes!

    Machen Sie Ihrem Kind bewusst, dass es Respekt verdient und Rechte hat, die keiner - ob Fremder oder Bekannter - verletzen darf.

    Wissen Ihre Kinder, was das Beste für sie ist und was ihnen gut tut? Das natürliche Empfinden der Kinder, wann ein „Nein" angebracht ist, sollte respektiert, unter Umständen sogar gefördert werden.

    Unterstützen Sie Ihr Kind darin, Selbstbewusstsein zu entwickeln! Erfahrungsgemäß sprechen Täter häufiger unsichere und unselbständig wirkende Kinder an. Selbstbewusstsein kann ein wirksamer Schutz vor sexuellem Missbrauch sein.

    Kein Kuss für den Onkel!
    Zärtlichkeiten sind für eine gesunde Entwicklung des Kindes wichtig. Sie stärken die Beziehung zu dem Kind. Aber auch ein Kind hat nicht immer Lust zu schmusen. Oder es will einfach nicht mehr geküsst werden. Respektieren Sie das, ohne es persönlich zu nehmen!

    Stehen Sie zu Ihrem Kind, wenn es vor Berührungen zurückschreckt oder diese einfach nicht mag! Onkel und Tante müssen dafür Verständnis haben!

    Familienentscheidungen gehen auch Ihre Kinder an. Gerade wenn es um sie geht. Beziehen Sie ihre Kinder also mit ein und berücksichtigen sie ihre Meinungen.

    Nehmen Sie sich etwas mehr Zeit für Ihr Kind!
    Fragen Sie gezielt nach Erlebnissen, Gefühlen, Sorgen und Ängsten! Ermutigen Sie Ihr Kind, gegebenenfalls mit einer anderen Vertrauensperson zu sprechen, wenn es Ihnen selbst nichts erzählen möchte!

    Geben Sie dem Kind immer das Gefühl, dass Sie sich für seine Erlebnisse interessieren! Eigene Wahrnehmungen und Einschätzungen sind sehr wichtig für Kinder. Lassen Sie ihnen diese!

    Gute und schlechte Geheimnisse
    Bringen Sie Ihrem Kind den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen bei. Oft arbeiten Sex-Täter gerade mit dieser Geheimnis-Masche.

    Ein "gutes Geheimnis" hat auch immer einen guten Hintergrund. Es geht nicht darum, etwas Schlimmes zu verheimlichen.

    Ein "schlechtes Geheimnis" ist immer sehr belastend für den, der es zu tragen hat. Es kann nicht gut sein, weil es Kummer macht. Man darf ein solches Geheimnis immer erzählen, auch wenn es ein Erwachsener verboten hat.

     

     

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